Von Karim Saab
18.04.2008 / Märkische Allgemeine
BERLIN - Die Vorstellung findet in einem nüchternen Büro im Berliner Willy-Brandt-Haus statt. Während nebenan Rechtsanwalt Jörg Schoof ganz normal seine Arbeit erledigt, kommt im Raum 2/11 ein interkontinentales Telefonstück zur Aufführung.
Hineingelassen wird nur ein Besucher, auf dessen Theaterkarte die entsprechende Uhrzeit vermerkt ist. Ihn erwartet ein Darsteller, der 10 000 Kilometer entfernt im südindischen Kalkutta in einem ebenso schicken Bürohaus sitzt. Das 55-minütige Gespräch zwischen beiden, die Antworten auf die von der Regie-Gruppe Rimini Protokoll vorbereiteten Fragen, ergeben einen bühnenreifen Dialog mit Unikatcharakter.
„Was war der größte Fehler in Deinem Leben?“ fragt mich Sarmistha mit authentischem Akzent. Sie ist eine von tausenden Callcenter-Angestellten und gibt auch über sich bereitwillig Auskunft. Sarmistha ist Einzelkind, ledig, möchte später einmal zwei Kinder haben, wohnt noch im Hause ihrer Eltern, das einen kleinen Dachgarten hat, verdient im Monat etwa 1400 Rupien und war als Touristin schon mal in Singapur und in Malaysia, aber noch nie in Deutschland. Deutsch hat sie privat im Goethe-Institut gelernt. Ich habe ihr vorher zugestimmt, dass wir uns duzen und gesagt, ich sei Koch und hätte vier Kinder. „Jetzt sind wir in Szene 3“, unterbricht sie plötzlich unseren Plausch, und sie singt mir ein bengalisches Wiegenlied vor. In Szene 4 darf ich mir aussuchen, ob ich ihr auch ein Lied vorsingen möchte, ihr lieber etwas über den schönsten Moment meines Lebens erzähle oder darüber, wo ich mich in fünf Jahren sehe. Des öfteren brandet im Hintergrund ein kleiner Beifall auf. Er gilt aber nicht mir. Es sei üblich, klärt mich Sarmistha auf, zu klatschen, wenn ein Mitarbeiter wieder ein Handy nach Aus-tralien verkauft habe.
Natürlich könnte es sein, dass Sarmistha nebenan sitzt und mir einen Bären aufbindet. Bei dieser Vorstellung muss sich der Theaterbesucher nicht nur selber vorstellen, er braucht auch viel Vorstellungskraft. Eine billige indische Süßigkeit liegt bereit, um die Annäherung an Indien zu erleichtern. Auf dem Schreibtisch steht ein Computer. Über eine Webcam erhalte ich Einblick in ihr Großraumbüro. Sie ist jung, hübsch und hat keinen Punkt auf der Stirn. Im Hintergrund wuseln sehr adrette Kollegen.
Inzwischen kann sie auch mich sehen, denn unter einem Blumentopf, den ich hochhebe, ist eine Kamera versteckt. Ich kann mich nun sogar auf ihrem Bildschirm sehen und mir selber zuwinken. Noch viel skurrilere Dinge passieren. Sie kann per Mausklick dafür sorgen, dass bei mir der Wasserkocher anspringt, die Uhr losrast und eine Schublade aufspringt. So weit ist es mit der globalen Vernetzung schon.
Call cutta in a box. Vorstellungen 22.-24.4. 29.4-1.5. 14-19 Uhr im Stundentakt. Unbedingt vorher reservieren! HAU, Hallesches Ufer 32,
Berlin-Kreuzberg. Karten unter 030/25900427.