Von Georg Weinand
01.09.2003 / Theater der Zeit
(...) Die enge Verbindung zur Stadt Brüssel untermauerten in diesem Jahr vor allem zwei Initiativen. Zum einen die 15 Fassungen von "Taxithéâtre": In Privatautos werden die Fahrgäste von einem Schauspiel-Taxifahrer durch die Stadt chauffiert. Dazu gab es eine Story, einen Soundtrack und Stops an markanten Stellen. Das Kammerspiel auf Rädern dauerte zwischen 20 und 30 Kilometern und war eine naturalistische Inszenierung zwischen Stadt und Kunst. Zum anderen gastierten als deutsche "Foreign correspondants" Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel unter dem Namen "Rimini Protokoll". Im Festivaltreff ließen sie jeden Abend pünktlich um Mitternacht in einer Mini-Performance einen Brüssler zu Wort kommen, der die theatralen Strategien seines täglichen Broterwerbs vorstellte: der Immobilienmakler mit seiner ausgefeilten Rhetorik, der U-Bahn-Fahrer, der eine Selbstmordtragödie auch nach Jahren noch nicht bewältigt hat, die EU-Übersetzerin mit ihren Interpretationsspielräumen. Ein orts- und zeitspezifisches Projekt, das den künstlerischen Umgang mit der Wirklichkeit nicht von der Bühne herunter, sondern intelligent aus dem Alltag heraus vermittelt: Kunst ohne Künstlichkeit, die so manchen weit Gereisten erdeten und wirksam gegen jeden intellektuellen Inzest der Künstlergemeinde wirkte.
Nach dem diesjährigen Einstiegs-Marathon wird das Künstler-Trio im kommenden Jahr eine Produktion mit dem Arbeitstitel "SABENA" erarbeiten. Die belgische Fluggesellschaft steht heute mit ehemals über 10.000 Beschäftigten für die größte Firmenpleite des Landes. Einige der Mitarbeiter werden ihre berufliche Laufbahn bald auf der Bühne aufbauen.