Von Nadine Schmidt
02.07.2002 / donews, Das Dortmunder Online-Magazin
„Was Sie machen ist Getöse - Wahlkampfgetöse - und das werfe ich Ihnen vor...!"
Die schultergepolsterte Mitt-40erin reißt den Kopf zurück, stößt hörbar unverbrauchte Luft aus und fährt fort sich zu ärgern, zu wundern und zu stammeln. Die linke Hand am Ohr krallt sie sich mit dem rechten kurzen Arm am Pult fest. Die Nahaufnahme eines Nachrichtensenders würde ohne Zweifel Schweißglanz auf den Schläfen und zwischen den zusammengezogenen Augenbrauen einfangen. Doch so genau schauen ihre Kollegen nicht hin. Das angestrengte Engagement der Frau verliert sich im Rascheln von Zeitungen, in ungedämpften Schritten und gedämpften Stimmen. Die Schrille einer Rückkopplung läßt alle für einen kurzen Moment zum Mikrophon aufblicken.
„Man wundert sich aber auch...und jetzt...alle wissen, wie es richtig gehen soll...!"
Die nervöse rechte Hand zuckt zurück vor dem plötzlichen Rotlicht. Sie klaubt den Kopfhörer aus dem voluminösen Haar, lächelt erleichtert, geht, stöckelt einen verblassenden Rhythmus unter die Worte ihres Nachredners. Durch die Tür aus schwerem schwarzem Eisen fällt ein Streifen Tageslicht und läuft am Sockel der mannshohen Nationalflagge aus. „Nicht nur im Fußball muß Deutschland wieder ganz vorn dabei sein!" Der schlaffe rot-goldene Zipfel weicht sanft dem Schwung des enthusiastischen Armes aus. Unter Schulterrecken und akzentuiertem Niedersausen von Faust und Fingern zwingt die Stimmgewalt, den Redner zu beachten. „Es geht aber um das Vieh - die FDP gibt hier die richtigen Antworten." Ein Wasserträger schlängelt sich durch die Stuhlreihen der Applausspender und Buh-Rufer, stellt das frische klare Glas vorsichtig ab und duckt sich aus dem Halbkreis. Eine Frauenstimme erklärt:
„Das war Cornelia Pieper. Nun Heidi Wright. Bei uns spricht weiterhin Herr Bunte."was soll das?
Einatmen, Luftanhalten und - warten und - weiter. Im Hintergrund die recyclingpappbeige Wand. Der Bundesadler auf friedfertigem ringeltaubenblaugrau. Auf seiner geschwellten Brust eine Wettkampftrikot-2. „Politik hat Erfolg!" - „Wo denn?" Das Plenum regt sich. „Vier Prozent!" - „Inhaltlich haben Sie dazu gar nichts zu sagen!" Das kann Herrn Bunte nicht beeindrucken, denn inhaltlich ist für seine Aussagen sowieso eine andere verantwortlich. Heidi Wright. Und die schlägt sich gerade mit den Zwischenrufen der Abgeordneten in Berlin herum. „...daß ich es absolut schofel finde..." Gelächter. „...die restlichen...zu bedenken..." Herrn Buntes Rede wird zusehends zum Lückentext. „Applaus für Herrn Bunte. Jetzt spricht Frau Ide."
„So einfach ist es nun wirklich nicht!"
Frau Ide spricht M. Klappert, und M. Klappert spricht Frau Ide in diesem Moment sicherlich aus dem Herzen, auch wenn M. Klappert gar keine Ahnung hat, wie anstrengend es für Frau Ide ist ihn zu doubeln. Es gelingt ihr zwar anfangs ganz gut, seine Rede zeitnah zu wiederholen. Aber nach ein paar Minuten setzt das obligatorische Schlagwortgeprassel ein, das schon ihre Vorredner hat abdanken lassen. Allerdings scheinen sich weder das restliche Parlament noch die Zuschauer daran zu stören. Können sie sich denken, was fehlt? Interessiert sie gar nicht, was fehlt? Ersetzen sie lieber durch eigene Ideen, was fehlt? Auf jeden Fall fehlt in diesem Moment in der Bonner Bundestagskopie der Widerspruch aus dem Plenum. Frau Ide läßt sich von Stille unterbrechen und begegnet lautlosen Angriffen. Schattenboxen. Ohne Zusammenhang wirkt alles floskelhaft, beliebig.
„Das ist ein chaotischer Schleuderkurs!" was soll das?
Auch der Tagesordnungspunkt „ohne Debatte" - festgelegte Routine in Berlin, beliebiges Chaos in Bonn. „Es wurde verteilt, ich sehe es gibt keinen Widerspruch, dann schreite ich zur Abstimmung." Zu den Abstimmungen hätte es heißen müssen. Das Parlament von „Deutschland 2" unterbricht seine Tagung anscheinend für ein fast halbstündiges Aerobic-Training. Anstelle von „Step - Push - Vor - Ran - Side -Step!" lauten die Kommandos „Dafür - Dagegen - Enthaltung - Erheben - nächster Punkt". Die Ausführung ist ähnlich agil wie im Fitnessstudio: da werden Arme in die Luft gewirbelt, heruntergerissen, es wird aufgesprungen, sich hingesetzt, herumgedreht und abgewunken... Statt Musik bilden Stampfen, Stühlerücken, Gelächter und Zurufe die akustische Untermalung. Wer aufgibt wird vom Trainer, dem Bundestagspräsidentenvertreter Thierse 2 ermahnt: „Was ist nun mit der CDU? Hat die CDU sich entschieden? Ich bitte die CDU um ihre Entscheidung." Zum ersten Mal hinken die Berliner Parlamentarier denen in der Bonner Schauspielhalle Beuel hinterher. Die haben sich nämlich schon lange entschieden, wer die CDU darstellt und wie die CDU abstimmt. Inwiefern sie da mit der „echten CDU" übereinstimmen, müssen sie in Ermangelung einer Bildübertragung raten. Und manchmal ist der Konsens in der realen Politik doch größer als erwartet: „Dafür?" - 8 Hände recken sich in der linken Hallenhälfte in die Höhe - „Dagegen?" - 6 Hände rechts - „Enthaltung?" - 3 in der Mitte - „Damit ist der Gesetzesentwurf einstimmig angenommen." Hoppla! Große Erheiterung. Politik ohne Debatte macht also am meisten Spaß?
Kommen wir zu Tagesordnungspunkt 2 Punkt 7
„Irgendwann hatte ich wieder das Gefühl in der falschen Debatte zu sein."
Aber K. Naumann ist in der richtigen Debatte. Ihr Double Frau Spar ist in der falschen. Nur der Zuschauer hat es mitunter nicht leicht, in Richtig und Falsch einzuteilen. Schließlich ähneln Gestus und Stimmen stark dem Vorbild aus dem Reichstag. Nur dass dort die Diskussion schon bei Turnschuhen und Jeans beginnt, während man in Bonn mit blanker Brust unter der gelben Krawatte erscheinen kann. Die Inhalte sind die gleichen, wenn sie in der Simultanübertragung auch zuweilen etwas verknappt sind und an das Stakkato beim Vorspulen eines CD-Spielers erinnern. In der alten wie in der neuen Hauptstadt werden gute Redner von Radiojournalisten und Kamerateams zur Seite genommen und interviewt. Dabei wäre es für den Bundestag vielleicht etwas ungewöhnlich, wenn Bundestagsabgeordnete während der Sitzung selbst zum Fotoapparat greifen. Und das Mitglied des Bundestages Dr. M. Huber mit einem Kleinkind auf dem Arm ist sicher komisch. Komischer jedenfalls als der freischaffende Künstler Frank Menger mit seinem Sohn. Obwohl doch beide die gleiche Rede halten. Hier wie dort sind die Abgeordneten gleichzeitig Akteure und Zuschauer. Sie können entscheiden, ob sie teilnehmen, zuschauen oder gar nicht hingehen wollen.
„Gestatten Sie eine Zwischenfrage?"
„Nein, ich habe nicht mehr viel Zeit, tut mir leid." Herr Sperling bleibt hart. Er muß noch wichtige Aussagen unterbringen. „Die europäische Marktwirtschaft muß durch eine massive...geholfen werden." Ob Ul. Heinrich einen Schönheitswettbewerb gewinnen könnte? Sein Double, Herr Sperling, hat jedenfalls keinerlei Ähnlichkeit mit Verona Feldbusch. Er ist auch nicht der ideale Werbeträger. Er ist Beamter und gehört zu den „Abgeordneten für einen Tag", die dem gängigen Politikerbild vom gesetzten Herrn im Anzugentsprechen. Andere sind einfach zu jung. Oder zu leger. Einer sieht aus wie Loriot, eine andere erinnert an Desiré Nosbusch. Das ist nicht unpassend. Schließlich hat die Scheindebatte einen hohen Unterhaltungswert.
„Mit dem Klammerbeutel gepudelt..."
In Bonn stehen die Redner freimütig und entspannt zu ihren kleinen Fehlern und Imperfektionen. Die sind auch unumgänglich. Damit haben sie es wesentlich leichter als ihr Souffleur. Denn nicht jeder kann sich unvollständige Aussagen leisten: „Ich nenne da...irgend so einen...aus Nordrhein-Westfalen und...Hessen..." Ein tatsächlicher Volksvertreter müsste dem ... und ... aus den beiden Bundesländern schon die Ehre der Namenserinnerung erweisen. Auch darüber hinaus haben die Bonner die Freiheit, offiziell als „Theater" zu agieren. Obwohl nicht klar ist, ob in Berlin weniger inszeniert wird. Zwar geht es dort um Politik, aber auf welcher Bühne ist der Text frei wählbar? In welchem Plenarsaal sagt der Redner,was er denkt und nicht, was er sagen muß? Renate Klett, Publizistin und Theaterkritikerin, wollte bewußt sagen, was sie nicht sagen will. Nur kam sie gar nicht zum Denken. „Frau Merkel vertritt Positionen die mir absolut konträr sind. Ich wollte gerade diese Spannung erleben, etwas sagen zu müssen, was meiner eigenen Meinung absolut widerspricht. Aber ich konnte das, was aus meinem Mund kam, überhaupt nicht reflektieren. Ich konnte keine Protesthaltung aufbauen." Nach der Verdauung im „zweiten Magen" Deutschland 2 scheint in Berlin so manche Protesthaltung als schlichte Rollenzuweisung und so manche Aussage als nicht reflektiert. Ob es dort manchen auch einfach zu schnell geht?
„Ein zügiger Absturz - äh - Abschluß der Förderungen."
Bundestagssitzungen kommen auf jeden Fall nicht zügig zum Abschluß. Und Abgeordnete haben einen harten Job. Niemand kann von neun Uhr morgens bis nachts um halb vier permanent reden oder zuhören. Auch das Publikum von Deutschland 2 nicht. „Damit ist das Vorhaben ja auch ad absurdum geführt." Ist es nicht. Der Bundestag ist anstrengend und eine eigene Welt. Für einen Tag war das Parlament von Deutschland 2 Bindeglied zwischen den zwei Welten von Wählern und Gewählten, wo es sonst wenig Überschneidung gibt. Die Teilnahme am bzw. Umsetzung des Bundestagsgeschehens wie schon allein die Betrachtung dieses Prozesses ergab eine Übersetzung der politischen Codes in außerparlamentarische Sprache. Und auf beiden Ebenen bleibt die Frage: Was/wieviel davon ist Inhalt, was Inszenierung?
„Jetzt isses weg!"