Von KATRIN BETTINA MÜLLER
07.01.2008 / taz
Zu den schönsten Theaterabenden am HAU gehören die Gastspiele des
Regisseurs Johan Simons. Mit seiner Inszenierung von Calderóns "Das
Leben ein Traum" begann im Hebbel-Theater das neue Jahr, das hundertste
in diesem Haus. Am nächsten Abend gefolgt von einer Premiere im HAU 2
von Rimini Protokoll, "Breaking News", einer Recherche über die
Abendnachrichten und ihren Zugriff auf die Welt. Gerade in ihrer
Unterschiedlichkeit sind beide Stücke typisch für die Spannbreite dessen,
was am HAU geleistet und versucht wird.
Wenn Simons Stücke ins HAU kommen, liegt ihre Premiere oft ein, zwei
Jahre zurück. Das nimmt ihnen aber nichts von einer Präsenz, die auf der
unmittelbar hergestellten emotionalen Verbindung mit den Schauspielern
beruht. In "Das Leben ein Traum", 2006 für die RuhrTriennale mit den
Schauspielern des NTGent inszeniert, berührt einen von Anfang an eine
sanfte, traumtänzerische Melancholie. Dazu trägt sicher die akustische
Untermalung durch die Musiker bei, die, mit Gamben und Klarinetten auf der
Bühne sitzend, den Hofstaat des Königs Basilius vermehren und seine
Angst mit klagenden und zagenden Lauten begleiten.
Er übt eine Rede, in der er von Sigismund, dem Thronerben, erzählen will,
den er bislang aus Angst vor einer dunklen Prophezeiung in einen Turm
verbannt hat und nun doch, der lange unterdrückten Sehnsucht nach dem
Sohn endlich nachgebend, wieder zurückholen will. Wenn er jedes seiner
Worte sucht und vorsichtig hineinhorcht, welche so lange verdrängten Bilder
in ihnen wohnen, ahnt auch der Zuschauer gleich die ganze Vorgeschichte
dieses müden und traurigen Königs.
Die Schauspieler des Genter Ensembles spielen auf Deutsch, mit einem
winzigen Akzent. Der trägt zu dem tastenden Sprachduktus bei, der die
Austauschbarkeit von Traum und Wirklichkeit, Schauspiel und Wahrheit
stetig mittransportiert. Die Geschichte von Sigismund, dem so lange
Verbannten, schrammt nur knapp an einer sich selbst erfüllenden
Prophezeiung vorbei. Er bringt den Krieg, den ihm die Sterne voraussagten.
Er, dem die Menschen vorenthalten wurden, kommt nun wie ein Tier unter
sie, mit all seinem ungezügelten Begehren. Er wird wieder verbannt und
dann von Aufständischen befreit, die voll Zorn auf den ungerechten König
sind. In dem entbrennenden Bürgerkrieg fliegen Stoffpuppen ohne Köpfe
über die Bühne. Und mitten in diesem wogenden Tumult kommt Sigismund,
der bis dahin alle Foltergriffe einer schwarzen Pädagogik über seinen an
eine Bahre gefesselten Leib ergehen lassen musste, zur Vernunft und
verzeiht seinem Vater - denn in dessen Angst vor dem Monstrum erkennt er
die eigenen Ängste wieder.
Dieses Schauspiel ist eine Sache, so rund, wie man es kaum noch für
möglich hält. Mit kleinen Gesten nur zitiert sie das Wissen herbei, dass der
Traum von Aufklärung und freiwilliger Vernunft als Illusion noch immer
besser denn als Wirklichkeit funktioniert. So kramt der Führer der
Aufständischen, als letztes Mittel, Sigismund von der Versöhnung mit
seinem Vater abzubringen, ein schönes Poster von Fidel Castro hervor.
Wenn er am Ende in den Turm gesperrt wird, an die Stelle dessen, den er
befreite, weiß man, dass aller Versöhnung zum Trotz die Ungerechtigkeit
weitergeht.
Das ist eine alte Geschichte und doch, wie "Breaking News - Ein
Tagesschauspiel" am nächsten Abend im HAU zeigen will, noch immer der
Kern vieler Nachrichten. Hans Hübner, ehemals Afrikakorrespondent der
ARD (1992-1997), hat in dieser Versuchsanordnung die Rolle übernommen,
einen der ältesten Texte der teilnehmenden Beobachtung an einem Krieg,
"Die Perser" von Aischylos, zum täglichen Strom der Nachrichten in Bezug
zu setzen. Und noch bevor er die Verbindung explizit hergestellt hat, ahnt
man, dass es die Bilder aus Kenia sein werden, von flüchtenden und um ihr
Leben fürchtenden Menschen, mit denen die Koppelung versucht wird. Vom
Theater der Antike zum Nachrichtenwesen heute: es ist ein langer Weg, den
Helgard Haug und Daniel Wetzel von Rimini Protokoll in ihrem jüngsten
Projekt einschlagen, und oft scheint die Richtung zwar markiert, die
Entfernung aber noch nicht überwunden. Doch trotz aller Lücken, die der
skizzenhafte Abend bei der Premiere hatte, war eines schon überraschend
deutlich. Indem sie über Nachrichten erzählen, also jenes Kerngeschäft der
Massenmedien, das weit entfernt von der Öffentlichkeit des Theaters zu
taz, die tageszeitung http://www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/...
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sein scheint, erzählen sie auch über das Theater selbst.
Doch darüber legt sich ein zerfleddertes Bild, bestehend aus sieben und
mehr Nachrichtensendern, deren abendliche News live und aktuell parallel
geschaut und dann von Dolmetschern und Journalisten kommentiert
werden. Dazu gehören die "Tagesschau", mindestens 10 arabischsprachige
Formate, Pentagon live aus dem Weißen Haus mit Gymnastikprogramm zur
Truppenertüchtigung, ein isländischer Sender, der stets mit einer guten
Nachricht aufhört, ein russisches Programm, das gerne mit Putin privat die
Nachrichten beendet. Man erfährt viel über einseitige Perspektiven, darüber,
wie die Auswahl der Nachrichten die Weltsicht steuert, und über verblüffend
banale Strickmuster der TV-Inszenierung. Aber noch wirkt das weniger wie
eine Medienanalyse, sondern eher wie eine ungeordnete Materialsammlung.
Die Mitspieler, die Rimini Protokoll diesmal gewinnen konnte, sind
Nachrichtenprofis: als Cutterin, Medienkritiker, Newsbroker einer Agentur.
Darüber hinaus haben vor allem die Dolmetscher interessante Biografien
und sind selbst politisch aktiv: Gerade dass sie ihre Perspektive kenntlich
machen, erhöht den Reiz ihrer Kommentare. Vor allem technisch kämpft der
Abend aber noch mit vielen Schwierigkeiten, sodass die Bilder dauernd
ihren Kommentatoren weglaufen und zu viele Sätze im Lärm untergehen.
Letztendlich aber auch ein stimmiges Bild: dass im Rauschen des
Mediums die Teilnahme untergeht.
Rimini Protokoll, wieder 8. bis 10. und 12. Januar im HAU 2
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