Auf'm Truck durch den Pott – hinter Spiegelglas

Von dpa

22.08.2016 / www.deutschland.de

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Duisburg (dpa) - Schön sauber glänzt er jetzt, der dunkelblaue Wagen auf dem Innenraum-Reinigungsplatz einer Autowaschanlage in Duisburg. Ein Mann in einem Fußballtrikot nimmt eine Wasserflasche und trinkt. Dann räumt er noch die Bodenmatten in den Wagen und fährt los. Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, dass ihm zehn Meter weiter gerade 41 unbekannte Menschen bei alledem zugeschaut haben? Sie sitzen auf der Ladefläche eines umgebauten Lastwagens - angeschnallt auf einer Tribüne hinter verspiegelten Scheiben. Willkommen beim Kunstprojekt Truck Tracks Ruhr in Duisburg.
Beim Konzept des Berliner Theaterkollektivs Rimini Protokoll geht es um neue Blicke auf das Ruhrgebiet. Die Kunst soll helfen und schafft es meistens auch - mit Hilfe eines speziellen Lastwagens, Hörspielen und elektronischer Musik. Mit einer Stadtrundfahrt hat das Ganze dabei eigentlich nichts mehr gemein.
Die Idee: Die Zuschauer werden knapp zwei Stunden lang durch die jeweilige Stadt gefahren. An sieben ausgewählten Orten hält der Truck und gibt den Blick frei auf ein Stück Stadtlandschaft - gerahmt durch von außen verspiegelte Fenster an einer Truck-Längsseite. Dazu ertönt ein Hörspiel. Nach ein paar Minuten geht es weiter, untermalt von elektronischer Musik.
Doch nicht die ganze Zeit darf man hinausschauen. Ein paar Minuten vor dem nächsten Halt schieben sich drei Leinwände vor die Fenster. Auf ihnen sind Videos zu sehen, die so tun, als zeigten sie live das, was draußen gerade zu sehen wäre, könnte man denn selbst hinausschauen. Doch schon nach kurzer Zeit weiß der Zuschauer, dass es nur Fiktion ist, spätestens, wenn der Laster an der Ampel hält, der Film aber eine Weiterfahrt suggeriert.
In sieben Städten sind solche Touren, Alben genannt, geplant. Oberhausen machte im April den Anfang, es folgte das zweite Album in Recklinghausen, jetzt ist Duisburg dran. Bis März 2017 folgen noch Dortmund, Mülheim, Bochum und Essen. Sieben Orte mit jeweils sieben Künstlern aus aller Welt: Regisseure, Hörspielmacher, Musiker, Klangkünstler, Dokumentarfilmer befassen sich mit den Orten und fertigen zumeist Hörstücke, die Tracks genannt werden. Alle Fahrten sind schon ausverkauft, die Aussichten auf Restkarten kurz vor Abfahrt des Trucks sollen aber gut sein, sagen die Veranstalter der Kulturorganisation «Urbane Künste Ruhr».
Nächster Halt. Die Leinwände fahren hoch. Aha, wir stehen in der Fußgängerzone vor einem Brunnen. Wieder werden Passanten zu Akteuren auf der virtuellen Bühne, die keine ist: Ein Kind springt direkt vor dem Laster auf einem Brunnen von Mauer zu Mauer. «Alle Abstände, die der Mensch sich geschaffen hat, sind von einer Berührungsfurcht diktiert», heißt es in dem Hörspiel «Gestaltlose Masse» von Sonya Schönberger. Es geht um den Platz, den jeder braucht. Ein Panikforscher hat herausgefunden: «Bei 2,94 Quadratmeter pro Person bewegen sich die Menschen mit Schrittgeschwindigkeit.» Das Loveparade-Unglück in Duisburg vor sechs Jahren kommt einem in den Sinn. Dort war es in einem Gedränge so eng, dass 21 junge Menschen erdrückt wurden.
Die Hörspiele haben es nicht leicht gegen die Bilderflut hinter den Fenstern. Ständig sieht man etwas Neues, ein Firmenschild «Friseur und Café GLÜCK» etwa. Schöner Name. Vor einem Mehrfamilienhaus sitzt ein Mann in einem braunen Plastikstuhl und hat seine Füße auf einen anderen braunen Plastikstuhl gelegt. An der Ecke eine Trinkhalle. Bei der Textilreinigung «Saubere Sache» kosten 3 Hosen 13,50 EURO. Wirklich wahr.
Gar nicht klischeehaft und ein bisschen zum Schmunzeln: Ein Interview des schwedischen Autors Marcus Lindeen mit dem Begründer der «Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit», Les U. Knight, abgespielt vor der Autowaschanlage. Die Grundidee: Der Welt ginge es besser ohne Menschen. Wie das Ruhrgebiet dann wohl aussähe? Und was wäre mit der Waschanlage?
Das Publikum muss sich am Ende erstmal recken, es war eng fast zwei Stunden lang auf dem zwölf Meter langen Laster. Im Landschaftspark Duisburg Nord endet die Tour. «Ich fand es ganz toll», sagt eine Frau aus Dinslaken, 64 Jahre alt. «Man konnte es wirklich nicht mehr unterscheiden, ob man in der Wirklichkeit oder in der Fiktion ist.»

 

 


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