Auf die Sendeplätze, fertig, los

Message und Massage: Die Theatertruppe Rimini Protokoll improvisiert in „Breaking News“ im Berliner

Von Christine Wahl

07.01.2008 / Tagesspiegel

Im russischen Staatsfernsehen RTR wird ein Sarg durchs Bild getragen. Ein paar Frauen, die bei diesem Akt Spalier stehen, krümmen sich in einer stilvoll auf Archaik getrimmten Klagechoreografie. Im Sarg liegt – ein Schauspieler. Einer, der in seiner Heimat so berühmt war, dass sein Tod selbst die Wahl in Georgien auf Platz zwei der Nachrichtenhitliste verwiesen hat. Gegen die illustrative RTR-Massentrauer nimmt sich der Nachbarbildschirm, man kann es nicht anders sagen, kümmerlich aus: Die ARD-„Tagesschau“-Sprecherin Susanne Daubner sitzt vor dem Bild eines ICE und informiert darüber, dass bis auf Weiteres nicht mit neuen Bahnstreiks zu rechnen sei, als Topmeldung. Links von ihr, in den indischen Nachrichten, hat ein Cricketspiel das Rennen gemacht, während auf der rechten Seite Al Dschasira seine Spitzennachricht der Lage in Kenia widmet.
„Breaking News“, die neue Produktion von Rimini Protokoll im HAU 2, ist eine gewaltige High-Tech-Installation aus -zig Bildschirmen, auf denen zur „Tagesschau“-Zeit parallel die Abendnachrichten internationaler Fernsehsender empfangen werden. Auf der Bühne stehen, wie üblich bei Rimini Protokoll, statt
Schauspielern sogenannte „Experten des Alltags“: Menschen, die sich mit dem Thema qua Beruf auskennen und also – um mit den Riminis zu sprechen – „in der Rolle ihrer selbst“ auftreten. Diesmal sind das außer den jeweils neben dem Sender ihres Sprachgebiets platzierten Übersetzern zum Beispiel der AFP-Nachrichtenredakteur Andreas Osterhaus, die ZDF-Cutterin Marion Mahnecke oder der Journalist Walter van Rossum, der seinem Unmut über die „Tagesshow“ in diversen Publikationen Luft gemacht hat.
Die Idee, die Helgard Haugs und Daniel Wetzels Versuchsanordnung zugrunde liegt, ist so schlicht wie überzeugend: Das Theater als Spiel- undIllusionsmedium par excellence knöpft sich die vollmundig aufs Faktische abonnierten Nachrichten vor und verrückt mittels Kontextwechsel die Perspektive. Im Idealfall würde der
Zuschauer zum Beobachter eines „Making of“ der Abendnews; und als Abfallprodukt aus dem luziden Crashtest von „Tagesshow“ und Theaterperformance
fielen ein paar strukturelle Einsichten ab: Wie inszeniert sich Macht in einer Minute dreißig Sekunden – dem festen Zeitrahmen für die Topmeldung? Macht sie sich besser in der Totalen oder in der Halbtotalen?
Für diese verheißungsvolle Medienkonfrontation hätte es noch nicht einmal der „Perser“ bedurft, dieser Urmutter der antiken Tragödie, die der ehemalige Theaterkritiker und Afrikakorrespondent Hans Hübner von seiner erhöhten Position aus tatsächlich ein bisschen wie von der Kanzel predigt: Aischylos’ Kriegsreport von der Schlacht bei Salamis 480 v. Chr., bei der der Autor selbst auf siegreicher Seite mitgekämpft hatte, bleibt als Muster aller Nachrichtenunbill und gleichzeitig Selbstreflexion des (dokumentarischen) Theaters im Thesenhaften stecken.
Dafür mausert sich die Konferenzschaltung zwischen den einzelnen Sendern, die der AFP-Redakteur moderiert, zum echten News-Happening: Spätestens, als Putin
im russischen Fernsehen Ski fährt und sich dabei im Dienst der Medienwirksamkeit an arglose kleine Sportjungs herankumpelt, während Angela Merkel – Stichwort Jugendkriminalität – in der ARD warnt, „das nicht auf die lange Bank zu schieben“ und „Nägel mit Köpfen zu machen“, liegt das Publikum vor Lachen am Boden. Die Quantität der Bilder potenziert den Absurditätsgrad; und ständig entgeht einem irgendwas, was einen mehr interessiert hätte. Kurz: Der moderne Informationssucher bekommt in „Breaking News“ eine Alltagserfahrung in gesteigerter Dosis verabreicht – und erkennt, dass Marshall McLuhans These immer noch stimmt: Das Medium transportiert keinen Inhalt, sondern ist selbst die Botschaft.
Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass Rimini Protokoll mehr wollte als dieses Flimmern und Rauschen als postmoderne Kollektiverfahrung. Haug und Wetzel
haben diesmal das Zepter, ziemlich mutig, zu einem beträchtlichen Teil aus der Hand gegeben. Wenngleich die „Tagesschau“-Inhalte, wie van Rossum launig anmerkt, zu 90 Prozent vorauskalkuliert sind, müssen die Alltagsexperten beim Live-Empfang auf der Bühne fast abendfüllend improvisieren. Damit sind schon
Schauspieler häufig überfordert. Und so lebt „Breaking News“ vom Charme des Chaotischen. Einige Experten verhaspeln sich bei der Simultanübersetzung, andere
kommen so gut wie gar nicht zu Wort – und behalten ihre sendungsbereiten Informationen leider für sich.
Einmal erzählt der in Kurdistan geborene Dolmetscher Djengizkhan Hasso – Präsident des Exekutivkomitees des kurdischen Nationalkongresses –, wie er mit einer Delegation im Weißen Haus empfangen wurde. Die Alltagsexperten spielen diesen Empfang nach, das Publikum lacht, die Akteure finden es auch lustig – und
zum Schluss sagt Djengizkhan Hasso in das allgemeine Amüsement hinein, in islamischen Ländern wäre eine derartige Spielszene undenkbar. Solche Momente,
in denen die Codes einander kommentieren oder auch aushebeln, hätte man sich öfter gewünscht.
Eines allerdings ist bei diesem Format klar: Die Experten werden von Vorstellung zu Vorstellung sicherer auftreten. Dann klappt es bestimmt auch besser mit der
Metaebene.
HAU 2, 8.-10. und 12. Januar, 19.30 Uhr


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