07.10.2018 / donaukurier.de
Die Münchner Kammerspiele wollen dieses Marathon freilich jetzt noch toppen: Vor der Uraufführung von "Morning in Byzantium" des renommierten amerikanischen Regisseurs und Choreografen Trajal Harrell und der von Christopher Rüping auf mindestens zehn (! ) Stunden (mit Erholungs- und Essenspausen) fixierten Hinterfragung der Bedeutung antiker Dramen für unsere heutige Zeit mit dem Titel "Dionysos Stadt" konnte die Uraufführung von "Unheimliches Tal" schon mal kräftig punkten.
Ein Mann um die 50 hat auf einem Stuhl aus den 1950er- Jahren Platz genommen. Vor ihm ein Beistelltisch, ebenfalls aus der ach so seligen Wirtschaftswunderzeit, darauf ein Laptop. Mit sonorer Stimme, begleitet von langsamen und etwas eckigen Bewegungen der Hände und geradezu zelebrierten Sprechpausen berichtet er von seinem Leben, von den Höhen und Tiefen. Zwischendurch flimmern Fotos über die neben ihm aufgestellte Leinwand: Kindheit und Jugend, Hoffnungen und Enttäuschungen, Erfolge und Misserfolge. Ein durchschnittliches Leben zwischen Adenauer-Zeit und Gegenwart. Dazu Szenen aus heutigen Orthopädiewerkstätten, in denen mit Computerunterstützung künstliche Gliedmaßen, Gelenke und auch Augenersatz entworfen, entwickelt und von Maschinen hergestellt werden. Und auch filmische Einblicke in die Werkstätten der Kammerspiele werden gewährt, wo gerade Gummimasken für Schauspieler angefertigt werden. Schließlich auch noch einige Videosequenzen, in denen Forscher und Wissenschaftler, etwa ein Professor für Künstliche Intelligenz, über den Siegeszug der Roboter völlig unaufgeregt erzählen.
Besonders spektakulär ist das alles nicht. Doch faszinierend ist der Gag dieser Uraufführung, arrangiert und inszeniert von Stefan Kaegi, Mitbegründer der alternativen Schauspieltruppe "Rimini Protokoll": Dem Mann auf dem Stuhl wurde auf dem Hinterkopf ein künstliches Gehirn eingepflanzt. Ein Menschenautomat oder ein Automatenmensch? Zumindest eine ferngesteuerte Marionette. Ein moderner Homunculus, der einer realen Person geradezu erschreckend ähnelt und der die Stimme des Schauspielers Thomas Melle verblüffend imitiert.
Auf die Gefahren, die uns in keineswegs ferner Zukunft durch die rasante Entwicklung der Robotik und die damit verbundenen Erkenntnisse und Folgen der künstlichen Intelligenz mit der Entpersönlichung und der Manipulierbarkeit des Menschen erwarten und drohen, will Stefan Kaegi mit diesem Stück mit dem bezeichneten Titel "Unheimliches Tal" einstimmen. Dies ist ihm hier auch bestens gelungen. Noch beeindruckender jedoch ist der von den Robotertüftlern der Chris Creatures Filmeffects GmbH hergestellte Homo sapiens der Zukunft in Gestalt des Schauspielers Thomas Melle. Eine technische Glanzleistung und ein hoffnungsvoller Auftakt der neuen Spielzeit in den Münchner Kammerspielen.