Von Ruhrtriennale
28.06.2016 / Ruhrtriennale Blog
Helgard Haug hat am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft studiert und arbeitet solo und gemeinsam mit Daniel Wetzel, Stefan Kaegi und Jörg Karrenbauer unter dem Label Rimini Protokoll. Die Arbeiten finden in der Grauzone zwischen Realität und Fiktion statt und haben international Aufmerksamkeit erregt. Seit 2000 entwickeln sie für Bühne, Stadtraum und Radio ihre Stücke, die nicht Laien sondern Experten des Alltags ins Zentrum stellen. Wir haben Helgard Haug zwischen all ihren Projekten erwischt und ihr 5 Fragen gestellt.
Ruhrtriennale: Bei eurem aktuellen Projekt „Truck Tracks Ruhr“ kommentiert ein Hörspiel das Geschehen, das die ZuschauerInnen im Truck beobachten. Was leistet das Hörspiel in Verbindung mit visuellen Reizen für die Arbeit?
Helgard Haug: Wir haben einen LKW in einen mobilen Zuschauerraum umgebaut. Seitlich im Laderaum sitzend, können die Zuschauer durch eine Scheibe auf bestimmte Orte blicken. Für die Ruhrtriennale 2016 beschäftigen wir uns mit Duisburg. Der Truck fährt also mit den Zuschauern los und hält dann an Orten, für die KünstlerInnen, die wir eingeladen haben, eine Audio-Arbeit entwickelt haben. Sie haben sich mit diesem Ort beschäftigt - heben durch Texte, Kompositionen, soundscapes bestimmte Beobachtungen und Begebenheiten hervor, konterkarieren sie, überzeichnen sie.
RT: Ihr spielt mit dem Voyeur, der in uns allen steckt. Was passiert mit einem Beobachter, der unbeobachtet andere beobachten kann?
HH: Theaterzuschauer sind ja immer Voyeure - wir schauen hin - schauen zu, während andere Menschen etwas tun. Auch in diesem LKW tun wir das ja nicht heimlich - es ist ein ziemlich auffälliges, offensiv beschriftetes Gefährt und wir fahren nicht in die Schlafzimmer ahnungsloser Menschen rein, sondern halten an Orten im öffentlichen Raum. Dennoch ermöglichen die Fensterscheiben des LKW und die Anordnung der Zuschauerreihen, die Rahmung des Blicks in etwas sehr Alltägliches, einen Fokus und eine Konzentration auf einen Lebensraum - vielleicht auch auf das eigene Leben. Der Begriff Voyeur ist ja sehr negativ besetzt, klingt nach etwas Verruchtem, Verbotenem - ich finde es im Gegenteil erhellend, genau hinzuschauen und extrem inspirierend meine Mitmenschen zu betrachten.
RT: Was macht das Ruhrgebiet für euch zu einem Ort, der sich besonders gut beobachten lässt?
HH: Das Ruhrgebiet ist natürlich eine sehr spannende Bühne, voller Widersprüche und Kontraste. Das schlägt sich nicht nur in der Landschaft und Architektur nieder. Wir werden bei den Recherchefahrten durch die einzelnen Städte oft überrascht von dem, was sich hinter der nächsten Ecke befindet. Das spiegelt sich auch in den Menschen wider - in Biografien und Lebensentwürfen!
RT: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den 49 KünstlerInnen? Wie habt ihr zusammengefunden und wie funktionierte die Kooperation?
HH: Für jede der 7 Touren haben wir 7 KünstlerInnen aus den unterschiedlichsten Bereichen eingeladen. Hierfür interessiert uns auch die unterschiedliche Arbeitsweise und künstlerische Sprache der Beteiligten. Es handelt sich um Hörspielmacher, Komponisten, Journalisten, Dramatiker, Performer... zum Teil sind sie sehr verwurzelt im Ruhrgebiet, andere waren vorher noch nie da. Verbunden werden die 7 Haltepunkte durch die wunderbare Filmarbeit von Ulrike Franken und Michael Loeken und den 7 Kompositionen der beiden Musiker Rasmus Nordholt und Frank Böhle für die dazwischenliegenden Strecken.
RT: Truck Tracks heißt übersetzt „LKW-Spuren“ – welche Spuren wollt ihr im Ruhrgebiet hinterlassen? Und was sollen die „Fahrgäste“ von Truck Tracks Ruhr mitnehmen?
HH: Wir wollten bei der Wahl des Titels eher an die einzelnen "tracks" also Musiktitel auf einem Album anspielen - also die Songs, die in einer bestimmten Anordnung etwas Ganzes erzählen. Dennoch passt Spuren natürlich auch - denn es legt sich durch die sieben verschiedenen Routen eine Spur durch das ganze Ruhrgebiet. Es sind Momentaufnahmen, die dem Zuschauer erlauben einen anderen, einen neuen Blick auf eine scheinbar vertraute Umgebung zu werfen.