Deadline
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©Reinhard Werner
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Ein Theaterstück über das Sterben - Doch geht es nicht um blutrünstige Tyrannen und eifersüchtige Liebhaber, sondern um den durchschnittlichen, mitteleuropäischen Tod.
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Endlich sein: Nach Shooting Bourbaki (ausgezeichnet mit dem Impulse-Preis 2002) kehren Haug / Kaegi / Wetzel ins Neue Cinema zurück, um einem alten Theaterprofi auf den Zahn zu fühlen: Dem Tod. Doch geht es in Deadline nicht um blutrünstige Tyrannen, eifersüchtige Liebhaber und erdolchte Märtyrer, sondern um den durchschnittlichen, mitteleuropäischen Tod: das skandalös unspektakuläre Ableben, Hinscheiden, Von-uns-Gehen. Das leise Sterben und seine Organisation: Prä- und post mortem. Denn 97 Prozent der Deutschen sterben nicht auf dem Schlachtfeld sondern meist unbeachtet im Bett. Sie sprechen keine letzten Worte sondern verlieren nach und nach die Sprache. Der Tod ist die einzige Gewissheit der Lebenden und wird doch beharrlich vor die Tür gestellt. Tritt er ein, sind Angehörige zumeist überfordert und delegieren an Institutionen, die zum eigenen Existenzerhalt den zur "Sache" gewordenen Mensch pietätsvoll aus der Welt schaffen.
Parallel zur Entwicklung der modernen Medizin ist das Sterben im 21. Jahrhundert kalkulierbar geworden. In der aufgeklärten Gesellschaft ist Tod nicht mehr nur metaphysische Bedrohung sondern auch schlicht eine Ausstiegsoption. Ein Ausknipsen von Maschine und Mensch – zum selbstverordneten Verfallsdatum.
Was bleibt also zurück? Ein gutes Geschäft für Discountbestatter und Sargfabriken? Immer mehr Hamburger suchen ihre letzte Ruhe außerhalb von Ohlsdorf. Sie wehren sich gegen den staatlich verordneten Friedhofszwang und erfinden gemeinsam mit Event-Bestattern neue Rituale für den bewusst inszenierten Abgang. Für 5.000 Euro bringt etwa ein Shuttle sterbliche Reste in einer Aluminiumurne auf Erdumlaufbahn. Nach ein paar Millionen Flugkilometern verglüht die Kapsel in der Atmosphäre.
Das eigene Abwarten und Testamentschreiben begegnet der minutiösen Architektur von Friedhöfen, die das Leben nach seinem Ende darstellen. Dafür sorgt ein minutiöser Grabmietsvertrag, der Nachbarschaft weitergehend reglementiert als auf dem Campingplatz. Wer will sich schon bei der letzten Ruhe stören lassen?
In Deadline fließt kein Requisitenblut, es wird nicht geröchelt, die Augen bleiben offen. Das in Film, Funk und Fernsehen täglich weltweitmillionenfach aktualisierte Bild-Genre desSterbens soll in Deadline auf der Bühne eine Revision erhalten, die den routinierten Blick auf den Schauspieler-Tod ins Leere laufen lässt. Profis im Umgang mit dem Faktum Tod sind die Darsteller, nach denen Haug / Kaegi / Wetzel für ein Theater forschen, das den Tod präsent macht, statt ihn ersatzweise vorzuführen.
Experten berichten aus privater und Berufserfahrung: Gerichtsmediziner, Krematoriumsmitarbeiter, Steinbildhauer, Sterbebegleiter, Trauerfloristen, Entrümpelungsfirmen und Friedhofsmusiker zelebrieren die Linie zwischen belebtem und unbelebtem Körper. Sterben versus Bühnentod.
Die unwiederholbare Momenthaftigkeit des Sterbens steht bei Deadline von vorn herein im Kontrast zur Wiederholbarkeit, die das Theater zelebriert und Bühnentode zumeist zu tragikomischen Verrenkungen macht.
Konzept / Regie / Projektleitung / Ausstattung: Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel
Mit: Olaf Meyer-Sievers (Creative Consultant, Trauerredner, OP-Fotograf), Hilmar Gesse (Steinmetz, Außenwerbung), Hans-Dieter Ilgner (Bürgermeister a.D., Initator des Flammarium Braubach), Alida Schmidt (Krankenschwester, Vorpräparatorin), Julia Seminova (Trauermusikerin), Alfred Ruppert (Oberbilleteur Kasino im Burgtheater, Pomp Funèbre; Fassungen für Burgtehater und Theatertreffen)
Licht: Björn Salzer
Dramaturgie: Imanuel Schipper
Produktion: Deutsches Schauspielhaus Hamburg (Neues Cinema)
Koproduktion: schauspielhannover, Hebbel am Ufer Berlin, Burgtheater Wien
Premiere: Hamburg, Neues Cinema, 24.April 2003
Eingeladen zum Theatertreffen 2004