Sonde Hannover
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Observationsstück für einen Raum voll Zuschauer mit Kopfhörern und Feldstechern im 10. Stock über dem Kröpckeplatz in Hannover. Der Blick von oben erklärt die Stadt zur Bühne.
Hannover ist Magen und terra incognita; Sonde Hannover nimmt eine Spiegelung vor und sendet erste Testreihen an abgeschirmte Observatoren. Der Blick von oben erklärt die Stadt zur Bühne, aus Menschen werden Figürchen, ihre Bewegungen erscheinen planbar, ihre Handlungen in Raster, Tabellen, Kategorien einteilbar. Der Blick entspricht der Aufsicht des Planers, von hier aus wird über die Köpfe hinweg beschlossen. Allmachtsfantasien und -Ideologien kommen von oben herab.
Die Position des Türmers ist nicht nur stets eine privilegierte Stellung gewesen - abgehoben vom Treiben in der Stadt - sondern auch eine der Obsession: Überwachung (nach innen) und Bewachung (des überwachten Bereichs). Seit dem Herbst 1977, als die West-Berliner Reinigungsfirma Lange mit dem Slogan „Bei uns arbeiten keine Sympathisanten“ warb, wurden die Kriterien für Verdachtsmomente mehr und mehr in die Datenlage verlagert. Aber noch heute orientieren sich politische Maßnahmen der „inneren Sicherheit“ am Modell des überschaubaren mittelalterlichen Stadtraums – der „Freiheit durch Sicherheit“ (Otto Schily), die stets an der Grenze zwischen freiheitlich demokratischer Grundordnung und Überwachungsstaat operiert. Das Datenraster als verzerrendes „Zoom in“ für den Augenschein.
Der Blick hinab ist auch ein Überblick über verschiedene Zeiten, über die Simultanität von Ereignissen, die räumlich eng aneinander liegen. Fahnder und Gefahndeter mögen getrennte Wege gehen – von oben sieht man, wie knapp der Türmer seinen Verfolgern entkommt. Der Zuschauer schaut auf den Platz, verfolgt Passanten, gewinnt Informationen, stellt fest und entdeckt auf dem gegenüberliegenden Dach neben der Werbeaufschrift ‚Blaupunkt‘ eine Camera, die leise Tag und Nacht den Platz abtastet. Benthams Überwachungsanlage „Panopticon“, in der der Türmer für die Häftlinge unsichtbar ist und in alle Zellen blicken kann wurde im selben Jahr entwickelt wie der Vorläufer des Kinos – Barkers erstes Panorama (1787). Das Kino ist längst zu einer Parallelwelt geworden, die ohne Zuschauer auskommt und allen bewusst ist, die sich im Stadtraum bewegen: Einkaufen, im Bild sein, ein Date haben, jeder die Hauptrolle in seinem Film.
Wie verdächtig klingt ein Gespräch durchs Richtmikrophon? Wieviel Anpassung wird verlangt um nicht aufzufallen? Unten hören Informationsjäger den Platz ab. Sie sind Platzwanzen. Sie arbeiten mal offensichtlich mal unerkannt. Neben Kriminologen modellieren weitere Stadtraumexperten das dokumentarische Bild Hannovers, bevor es mehr und mehr Phantasie wird und der Überwachungsblick wieder cineastisch.
Von: Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel
Idee / Konzept: in Zusammenarbeit mit Bernd Ernst
Mit: Inge Mathes, Nina Lamazza, Farsin Nassre-Esfahni, Arne Sickenberg, Katarina Standke (Sondern), Nils Foerster (Service) und Harry Hubrig (Gebäudereinigung Hubrig)
Und den Stimmen von: Prof. Dr. Heiko Geiling (Politologe), Flugbeobachter Hallfeld (Polizei-Helikopterstaffel Hannover), Dr. Axel Haunschild (Ökonom, Universität Hamburg), Martin Klinke (Katasteramt Hannover), Georg-Walter Tullowitzki (Detektei Thiele Sektion Hannover), Prof. Dr. jur. Diethart Zielinski (Universität Hannover) u.a.
Tontechnik und Livesound: Frank Böhle
Produktion: Theaterformen 2002
Premiere: Hannover, Kröpcke-Hochhaus, 8. Juni 2002