Blau blüht der Enzian

Von Helgard Haug

Eine Soundinstallation auf der Basis von Zahlensendungen im Rahmen der Gruppenausstellung world watcher.

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Eine einzige Sendung blieb nach der Auflösung des einstigen West-Propaganda-Senders RIAS dem neu formierten DeutschlandRadio erhalten: Das „Sonntagsrätsel“ von und mit Christian Bienert. Die ‚werten Zuhörer’ erraten Namen von Interpreten, deren Geburtsorte oder Titel, und der Moderator sagt an, aus welchen Buchstaben der erspielten Begriffe sich im folgenden das ‚Lösungswort’ zusammensetzt. Dann wird der Titel in voller Länge ausgespielt: ein sagenhafter Clash der verschiedensten Stile und Zeiten.

Der Moderator ist aber nicht nur Rätselonkel und Musikexperte - er ist vor allem interessiert an Methoden, die das Medium Radio zu Zeiten des kalten Krieges entwickelte, um codierte Meldungen zu versenden. Der westdeutsche Spionagedienst nutzte die Struktur der Rate- und Wunschsendungen, um nach einem verabredeten Stichwort bzw. einem vereinbarten Musikwunsch Nachrichten an die Agenten im Feld zu übermitteln. Der Titel „Blau blüht der Enzian“ war ein solches Signal. Die auf diesen Titel folgende Nachricht war verschlüsselt und von geheimdienstlichem Interesse. Neben den offiziellen Sendefrequenzen liegen auf dem Meterband der Kurzwelle noch heute eng an eng Sender, welche sich nicht an eine große Hörerschar richten, sondern oft nur an einzelne Personen verschlüsselte Nachrichten übermitteln. Sie sind katalogisiert, das Initial steht für die Landessprache – die Nummer unterscheidet den Sender von den anderen bereits gefundenen.

Neben den Wunschsendungen gibt es auch Formate, die verschlüsselte Mitteilungen offensichtlicher verbreiten: das Spielen bestimmter Tonabfolgen - jeder Ton steht für einen Buchstaben-, das Nennen bestimmter verabredeter Codewörter oder das Verlesen von verschlüsselten Buchstabenreihen. Einer der einfachsten Buchstaben-Schlüssel (+1) dechiffriert zum Beispiel Kubricks board-computer HAL in das Firmenkürzel IBM).

Aktuell werden vor allem die ‚Zahlensendungen’ genutzt: nach einer kurzen Zahlenfolge, die den betreffenden Agenten „anwählt“, folgen lose, sich wiederholende Zahlenreihen, die Buchstabe für Buchstabe Worte, Sätze, Meldungen ergeben. Dass es sich dabei nicht um verschlüsselte Lottozahlen oder Wetterberichte handelt, wie offizielle Statements glaubhaft machen wollen, belegt beispielsweise die Zunahme der Sendeaktivität von „E 05“ im letzten Golfkrieg. Als die USA 1991 militärische Spezialkräfte nach Afghanistan verlegten, tauchten exakt zu diesem Zeitpunkt außerdem zwei neue Zahlensender in persischer Sprache auf, und auch als die Bush-Regierung Ende August 2002 ihre Irak-Invasionspläne konkretisierte, nahmen die Zahlensendungen auffällig zu.

Bis heute sind Kurzwellensendungen konkurrenzlos in Anonymität und Sicherheit, vor allem durch das völlige Fehlen einer Zieladresse. Die Sendeanlagen können zwar mit Peilantennen aufgesucht werden, nicht aber die Empfänger der Botschaften.

Im Zickzack zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre verbreiten sich die Informationen weltweit. Die Empfänger der Nachrichten, die so genannten „VERBINDUNGSWESEN“ können auf diese Weise problemlos aktiviert, instruiert und ‚abgeschöpft’ werden.

Während die Zahlensender zum einen eine konkrete politische und militärische Funktion haben, steht auf der anderen Seite ein wachsender Personenkreis, der sich an der puren Ästhetik und Musikalität dieser Übertragungen erfreut, sie weltweit aufspürt und sammelt, sich aber vor der eigentlichen Dechiffrierung scheut, (sicherlich auch um ihrerseits nicht in das geheimdienstliche Kreuzfeuer zu geraten). Diese in der Regel männlichen Jäger und Sammler von Nummerstationen – stellvertretend sei hier Jochen Schäfer genannt - geben den mechanischen Frauenstimmen Kosenamen wie „Synthia“, die synthetische Stimme des CIA, oder „Eiserne Jungfrau“, die Stasi-Stimme auf „G 08“. In ihren privaten Archiven türmen sich Aufnahmen, die auch belegen wie bewusst neben der Information an Desinformation gearbeitet wurde. Die „Kontra-Propaganda“ bediente fast schon spielerisch alle Agentenklischees; dazu gehörte die Verbreitung von Sätzen wie „Die Rose blüht nicht mehr“ oder „Die Ziege kann gemolken werden“.

Das Ende der DDR und somit auch das Ende der Staatssicherheit wurde den Mitarbeitern an den Wellenempfängern durch den verschlüsselten Rückruf „Wittenberg – Wittenberg“ verkündet – Stunden später ertönte auf der dem Agentenfunk zugerechneten Frequenz ein besoffener Männerchor, der „Alle meine Entchen“ sang. Parallelen zu Kubricks „Space Odyssee“ drängen sich auf: Der Bordcomputer HAL quittiert den eigenen Fade-out mit einem Kinderlied und singt ‚Hänschen Klein’, während er abgeschaltet wird ...

Die Klanginstallation setzt sich aus Elementen des Sonntagsrätsels und Teilen der archivierten Spionagesender zusammen.

 

Blau blüht der Enzian

Ja, ja, so blau, blau, blau blüht der Enzian,
wenn beim Alpenglühn’ wir uns wiedersehn.
Mit ihren ro-ro-ro-roten Lippen fing es an,
die ich nie vergessen kann.
Wenn des Sonntags früh um viere die Sonne aufgeht,
und das Schweizer Madl auf die Alm 'naufgeht,
bleib ich ja so gern am Wegrand stehn, ja stehn,
denn das Schweizer Madl sang so schön.
Holla hia, hia, holla di holla di ho.
Holla hia, hia, holla di holla di ho.
Blaue Blumen dann am Wegrand stehn, ja stehn,
denn das Schweizer Madl sang so schön.
Ja, ja, so blau, blau, blau blüht der Enzian....
In der ersten Hütte, da hab'n wir zusammen gesessen,
in der zweiten Hütte, da hab'n wir zusammen gegessen,
in der dritten Hütte hab' ich sie geküsst,
keiner weiß, was dann geschehen ist.
Holla hia, hia, holla di holla di ho.
Holla hia, hia, holla di holla di ho.
In der dritten Hütte hab' ich sie geküsst,
keiner weiß, was dann geschehen ist.

 Von Helgard Haug, im Rahmen der Gruppenausstellung: world watchers

Mit: Julie Becker, Alice Creischer, Öyvind Fahlström, Katja Fredriksen/Sebastian Poerschke, Helgard Haug, Eva Hertzsch/Adam Page, Darius James/Angie Reed, Ben Katochor, Mark Lombardi, Henrik Olesen, D. A. Pennebaker

Dank an Jochen Schäfer, Claudia Heisenberg, Christian Bienert
NGBK 13. Dezember 2003 - 15. Februar 2004 / Kunsthaus Dresden 2004

Zur Ausstellung erschien ein Katalog: ISBN: 3-926796-87-1