Matthias Rietschel über die Entstehung seiner Fotoserie »Lys Geburtstag«:
»Auf die Idee, den Alltag der vietnamesischen Vertragsarbeiter zu dokumentieren, bin ich mehr oder weniger zufällig gekommen. Ich hatte eine Freundin, die in einem Studentenwohnheim lebte, in dem auch viele Ausländer zeitweise ihre Heimat fanden – Mozambiquaner, Kubaner, Äthiopier... Mitte der 1980er Jahre kamen nach dem Freundschaftsvertrag zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Vietnam noch sehr viele vietnamesische Arbeiter nach Dresden.
Ich hatte heftiges Interesse an anderen Ländern und Kulturen. Da ich diese nicht selbst auf Reisen erleben konnte, lag es nahe, das Fremde und Ausländische in meinem Umfeld zu erkunden. Während des Studiums hatte ich mich schon fotografierend mit den Sorben und ihrer Religiosität beschäftigt. Dazu hatte ich auch einen biografischen Bezug, weil ich in der Nähe der sorbischsprachigen Lausitz, im Raum Kamenz, groß geworden bin.
Nach meinem Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bot mir der Rat des Bezirkes Dresden einen Fördervertrag an. Das gab mir die Möglichkeit, drei Jahre lang den Alltag der vietnamesischen Vertragsarbeiter zu begleiten. Dank eines Schreibens der Kulturfunktionäre des Bezirksrates waren mir alle Tore geöffnet und ich durfte im VEB Herrenmode Dresden und dem dazugehörigen Wohnheim ein- und ausgehen – was nicht ganz selbstverständlich war bei dem staatlichen Sicherheitsdenken zu dieser Zeit. Ich hatte jegliche Freiheiten beim Fotografieren und kam sehr nah an die vietnamesischen Vertragsarbeiter heran.
Ich begann im Herbst 1986 mit der fotografischen Dokumentation und ihr Abschluss fiel genau in die Zeit der Wendewirren. Eigentlich wäre die Präsentation der Arbeit in einer Galerie vorgesehen gewesen, aber niemand interessierte sich in dieser Zeit für die Einhaltung meines Vertrags.
Also fotografierte ich weiter. Ich hatte mich inzwischen mit vielen Vietnamesen gut angefreundet und war vom eigenen Umbruch und dem vieler Vietnamesen berührt. So zeigt die Dokumentation das Leben der Vertragsarbeiter bis ins Jahr 1990: Stationen ihres Dresdner Alltags, das Ende des Wohnheimlebens und die Abreise in ihre Heimat.
Die Fotos, im Herbst 1990 als Mappe übergeben, lagen dann beim Kunstfonds Dresden im Archiv und wurden im Herbst 2008, mit fast 20 Jahren Verspätung, erstmals ausgestellt.
Matthias Rietschel studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Er arbeitet als freier Fotograf in Dresden, bis 2010 vor allem für die Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Die Fotoserie »Lys Geburtstag« entstand 1986 bis 1989 im Rahmen eines dreijährigen Fördervertrages mit dem Rat des Bezirkes Dresden und zeigt das Leben vietnamesischer Vertragsarbeiter und Studenten in Dresden. Die Bilder wurden 2008 in der Ausstellung »Lys Geburtstag – Vietnamesen im Dresden der 80er Jahre« im Goethe Institut Dresden erstmals gezeigt.