Black Tie

Von Helgard Haug / Daniel Wetzel

Für die Zeit vor dem ersten Dokument hat sie von der Adoptionsvermittlungsstelle nur die mythische Information: „Du wurdest in Südkorea 1977 in einer Schachtel gefunden, umhüllt von Zeitungspapier.“ Für „Black Tie“ spuckt Miriam Yung Min Stein in ein Röhrchen der Firma 23andMe, macht einen Backenabstrich mit dem „genom-collector“ der Firma DeCODEme und wartet auf die Teilsequenzierungen ihres Genoms durch die beiden Marktführer. Einer der beiden empfängt sie auf der Webseite, die ihre genetischen Daten preisgeben, mit dem Slogan „welcome to you“. Der eigene ‚Bauplan’, eine Biografie? – Wie erzählt man die eigene Geschichte, wenn wie im Fall Steins ihre Aufzeichnung erst mit der Ankunft auf einem deutschen Flughafen beginnen kann?
„Black Tie“ kreist um das schwarze Loch der Herkunft, um die befremdlich-beredte Hilfsindustrie der jungen Humangenetik dieser Tage und das Befremden zwischen Umwelt und mir – in Osnabrück hineinzuwachsen in einen Körper, der koreanisch wirkt, der ein ganzes Land, einen Krieg, eine andere Kultur wie in einer verschlossenen Kapsel mit sich herumträgt, unbekannt, sprachlos – ein potentieller Ort, Fluchtpunkt, Traumfabrik.
Adoption, anonyme Samenspende, Weihnachtspakete für Waisenkinder – kennen die guten Menschen die wachsenden schwarzen Löcher, die ihr guter Wille auch erzeugt? Was wäre, wenn jede internationale Hilfe gestoppt werden würde? Wie könnte den Helfern geholfen werden, die süchtig werden Gutes zu tun und dafür ihren gerechten Dank erwarten? Und was stand in der Zeitung, in die das Baby gewickelt war, 1977 in Südkorea?
Nach drei Stücken, die große Texte zum Gegenstand hatten – Schillers „Wallenstein“, den Ersten Band von Marx’ „Kapital“ und den ‚Breaking News’ der Abendnachrichten – gilt die neue Arbeit dem mikroskopischen Blick auf die Schriftsätze eines Lebens.

 

 

Mit: Miriam Yung Min Stein, Hye-Jin Choi und Ludwig

Buch: Helgard Haug & Daniel Wetzel. Co-Autorin: Miriam Yung Min Stein

Inszenierung: Helgard Haug & Daniel Wetzel (Rimini Protokoll)
Recherche und Dramaturgie: Sebastian Brünger
Bühne und Lichtdesign: Marc Jungreithmeier
Musik: Ludwig
Interaction Design: Grit Schuster
Ton: Florian Fischer
Produktionsleitung: Heidrun Schlegel
engl. Übersetzung: Jenna Krumminga
Regieassistenz: Dorit Abiry
Bühnenbildassistenz: Sina Gentsch
Interaction Design Assistenz: Tobias Üffinger
Produktionshospitanz: Dimitris Bampilis



Eine Produktion von Rimini Apparat in Koproduktion mit Hebbel am Ufer Berlin und Theaterhaus Gessnerallee Zürich, in Kooperation mit den Wiener Festwochen.

Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten.

Aufführungsrechte: schaefersphilippen Theater und Medien GbR